„Berlin hat Berge…

…nur das Warmfahren dauert etwas länger“

So fängt Evas Beschreibung Ihres selbst kreierten 1000er Brevets an. So lange hat dann das Warmfahren doch nicht gedauert. Passenderweise haben Martin, Falk und ich den heißesten Tag des Jahres für unseren Start ausgesucht.

Ein Tausender im Jahr muss es schon sein, und dass wir den zu dritt fahren wollen, haben wir schon letztes Jahr bei einem unserer „Bergtrainings“ beschlossen. Was organisatorisch Unkompliziertes sollte es sein, ohne viel Extra-Urlaub und am besten von Berlin aus. Aber ein paar Berge durften es auch sein. Da fiel die Wahl auf „BhB“ nicht allzu schwer. Zumal BhB nicht einfach „nur“ ein tausend Kilometer langer zusammengeklickter Track ist. Die Strecke wurde von Eva geplant, (Probe-) gefahren und mehrfach nachgescoutet. Es gibt eine sehr liebevoll gestaltete und gepflegte Webseite, einen 3-teiligen Erstbefahrungsbericht, eine ausführliche Liste mit Versorgungspunkten, eine Finisher-Liste und sogar einen selbst gebastelten Finisher-Button!

Wegen der zu erwartenden Hitze am Starttag wollten wir früh, also halb acht, los, was auch fast geklappt hat. Am Brandenburger Tor wurde das erste Kontrollfoto gemacht, und wir wurden von Eva und Anke persönlich auf die Strecke entlassen. Ca. 20km später gab es schon den ersten Schreckmoment: Bei Falk ist eine Speiche gerissen! Keiner von uns hat jemals zuvor eine Speiche unterwegs getauscht. Dass Falk eine Ersatzspeiche mit hatte, war wohl auch nur einem kurzen Gedankenblitz zu verdanken. Es hat dann aber erstaunlich problemlos funktioniert. Am längsten hat es gedauert, den abgebrochenen Speichennippel aus der Hohlkammerfelge zu pulen, Geduldsspiel.

Die erste richtige Erfrischungspause gab es in Sperenberg um halb elf, bei km 50, bei REWE. Pro-Tipp: rechts neben dem Eingang gibt es einen Wasserhahn: Kappe abziehen und aufdrehen! Martin hat Melone spendiert, gute Idee! Hier haben wir schon gesehen: Drei Stunden für fünfzig Kilometer. Das ist nicht rekordverdächtig. Aber mehr ist nicht drin. Inzwischen waren es bestimmt schon über dreißig Grad.

Kurz vor Dahme, zwischen Petkus und Liepe (ca. km75) gab es eine kurze Treibsandpassage, die zum Schieben einlud.

In Dahme, keine 40km nach unserer letzten Pause, waren wir schon wieder dermaßen ausgetrocknet, dass wir uns in den klimatisierten Lidl flüchten mussten. Es gab Eis, einen Sechserträger lauwarme Radler und für Falk ein Kilo tiefgefrorenes Mischgemüse 😊.

Mit dem Eis und Radler und vierzig Grad auf dem Kopf war mein Magen irgendwie nicht ganz zufrieden. Auch Martins Kreislauf meldete sich mürrisch. Falk hatte ja Mischgemüse. Aber Falk hatte zum Glück auch im Vorfeld Evas Versorgungsliste um mögliche Badestellen erweitert. Bis zur ersten Badegelegenheit am Körbaer Teich waren es nur neun Kilometer.

Etwas abseits vom eigentlichen Badestrand hatten wir unsere Ruhe. Das Wasser war bestimmt auch mindestens 30 Grad warm und nur knietief, aber eine Wohltat, den ganzen schmierigen Belag abspülen zu können. Falk und ich waren so langsam fertig, da beschloss Martin, erstmal in Ruhe seine Stullen zu essen. Na gut, so kennen wir das ja inzwischen: bei den Pausen etwas verplant und ganz in Ruhe, aber beim Fahren hat Martin uns dann meist sehr schnell wieder eingeholt. Falk fährt eher gemütlich, macht aber keine Minute zu lange Pause. Ich irgendwo dazwischen. Insgesamt aber alle ungefähr gleich schnell. Das macht es aber schwierig, einen Tausender von Anfang bis Ende komplett gemeinsam zu fahren. Sich über so lange Zeit einer Gruppe anpassen zu müssen, ist uns allen zu anstrengend. Deshalb hat sich bei uns dreien folgender Modus etabliert: Wir starten gemeinsam und fahren so lange zusammen, wie es für alle ok ist. Bei den Pausen ist keiner verpflichtet, auf den Anderen zu warten, beim Fahren muss keiner kämpfen, um „dranzubleiben“ oder extra langsam fahren. Hin und wieder gibt man seine Position durch und trifft sich dadurch dann doch relativ häufig wieder und macht zusammen Pause oder fährt ein Stück gemeinsam. Ein gutes Gefühl zu wissen, dass man nicht allein auf der Strecke ist.

Jedenfalls kam von Martin die Nachricht, dass er seine Pause am See noch um einige Stunden verlängert hat. Hm, na ja.

Nach weiteren 25km kam die nächste Tanke in Tröbitz gerade recht, 2 kalte alkoholfreie Radler. Falk müsste ja auch gleich kommen. Kam aber nicht, er hat 200m vor der Tanke an einem Freibad-Imbiss Pause gemacht. Klappt also nicht immer mit der Kommunikation und den gemeinsamen Pausen. Aber 2 Radler waren bei dem Wetter überhaupt kein Problem für mich.

Bis zur nächsten Pause bin ich krasse 10km weitergekommen. In Bad Liebenwerda, es war schon Nachmittag, wollten wir „was Richtiges“ essen, also Pizza. Schon kurz vor fünf und erst 135km geschafft. Der Plan, in Annaberg Buchholz zu Abend zu essen, dann auf den Fichtelberg und dann was zum Schlafen suchen, war wohl doch zu optimistisch, noch 170km, nicht mal die Hälfte des Tagespensums! Und noch ist es total flach! Etwas eingetrübte Stimmung.

Weiter ging es durch die glühende Ebene, während der Fahrt zeigt das Navi 40, 43 Grad, im Stand über 50 Grad. Einen Hingucker gab es kurz vor Zeithein/ Riesa, links in einem frisch abgeernteten Feld: mehrere große Obelisken, die während des „großen Campement bei Mühlberg“ entstanden sind, ein großes Militär- und Vergnügungsspektakel Augusts des Starken um 1721.

Dann kam auch schon Riesa in Sicht, die Wegmarke, hinter der es langsam hügelig wird. Während der Fahrt über die Elbbrücke machten die Geländerschatten derart halluzinogene Muster, dass man kaum hingucken konnte.

Vor den Bergen, die bald kommen sollten, wurde natürlich nochmal ausgiebig Pause gemacht, diesmal im romantischen McD mit viel leckerem Vanille-Michshake. Auch Falk kam kurz nach mir rein und hat sich Pommes in Plastiktüten abgefüllt, iih!

Langsam stand die Sonne nicht mehr ganz so hoch, aber über 30 Grad waren es immer noch. Alle 10…15km mussten Falk und ich kurz Trinkpause machen, idealerweise an einer Tanke mit kaltem alkoholfreiem Radler oder Bier. Es ging stetig aufwärts und ab und zu hatte man einen schönen Blick über die Landschaft.

Es war schon halb zehn, als wir die Nachricht von Martin mitbekamen, dass er Richtung Bahnhof Doberlug-Kirchhain unterwegs ist. Wir hatten es schon leicht geahnt. Mit neuer Hüfte ist Martin dieses Jahr keine weiteren Brevets gefahren, so dass vermutlich die Form nicht ideal war. Aber Respekt, dass er es trotzdem in Angriff genommen hat!

Inzwischen im Dunkeln radelten wir, jeder für sich weiter Richtung Erzgebirge. Gegen 2 Uhr ging dann bei mir nichts mehr. 270km in 18 Stunden, ein 15er Schnitt im Flachen, das konnte ja was werden. Zwei Stunden Schlafpause hinter Wolkenstein in einer mäßigen Bushaltestelle, zumindest war es nicht kalt. Auch Falk hat in der Nähe genächtigt, allerdings nur für eine Stunde.

Dann eben statt Abendbrot Frühstück in Annaberg-Buchholz. Zum Glück war TOTAL halb sechs schon offen und hatte belegte Brötchen und Kaffee.

Von hier aus ging es direkt zum ersten Etappenziel, dem Fichtelberg, noch 25km. Auf halber Höhe kommt noch Oberwiesenthal und dann endlich der finale Abzweig zum Gipfel.

Falk war schon vor einer halben Stunde oben. Beim ständigen Rumgefummel am neuen Navi friert auf einmal der Bildschirm ein. Auch auf Tastendruck reagiert das Ding nicht mehr. Na, bis zum Gipfel ist der Weg ja klar, da lass ich es mal kurz in Ruhe.

Kurz nach acht ist Etappe 1 endlich geschafft. Navi ist immer noch eingefroren, mit langem Druck auf den Ein/Aus-Knopf lässt es sich zumindest noch ausschalten. Und wieder einschalten! Sogar die Trackaufzeichnung läuft noch. Zwar die letzten 2km nur als Luftlinie, aber ich bin erleichtert.

Ich schreibe das alles so genau, weil es die Generalprobe für mein neues Spielzeug ist, ein Edge1040Solar. Ich war vom Edge1000 genervt wegen der immer kürzer werdenden Akkulaufzeit, der lahmen, und manchmal fehlerhaften Routenberechnung, des langsamen Bildaufbaus, der wackeligen USB-Buchse, die ein sicheres Laden während der Fahrt verhinderte. In einem Anflug von Unvernunft habe ich dann den neuesten Edge gekauft. Mit angeblichen 100 Stunden Akkulaufzeit maximal. Am Fichtelberg hatte er immerhin noch ca. 70% nach 24 Stunden und 310km. Die USB-C Buchse ist auch deutlich robuster als die Micro-USB vom alten Edge1000. Aber Akkuladen während der Fahrt scheint vorerst nicht mehr nötig zu sein.

Für 25km ging es dann wohlverdient bergab, bis ich beim Frühstück an einer Tanke, kurz vor Breitenbach, mitbekommen habe, dass ich nicht mehr auf dem Track bin. Hab wohl verpasst, irgendwo abzubiegen und das Navi hat gleich eine Alternativroute angezeigt, ohne, dass ich das richtig mitbekommen habe. Naja, nur ein kleiner Umweg über Johanngeorgenstadt. Inzwischen ist es Vormittag und der Himmel zieht sich langsam zu. Es fängt an zu regnen. Ich hole Falk ein. Es geht hoch und runter durch viel grünen Wald auf Straßen mit wenig Verkehr Richtung Westen. Hier ist also das Vogtland. Ziemlich zäh, so richtig Kilometer machen wir, wie erwartet, immer noch nicht. Bemerkenswert ist auch, dass weder Falk noch ich zwischen Fichtelberg und Schneeberg auch nur ein einziges Foto gemacht haben. Dann war nochmal eine kurze Schlafpause nötig, bei der Falk wieder an mir vorbeigefahren ist. Die Gegend vor Hof kam mir bekannt vor, hier war ich beim Sachsen-1000er mal. In Hof selbst ist die Radfahrinfrastruktur sehr zermürbend. Radwege gehen, wenn überhaupt, über schlechte Fußwege, verschwinden abrupt vor mehrspurigen Straßen, wechseln alle 30m die Straßenseite, Hinweisschilder fehlen. Das alles bei 30 Grad und viel aggressivem Verkehr. Ich spare mir den Extra-Schlenker durch Hof vom Original-Track und bin froh, als ich raus bin. Kurz vorm Schneeberg, um Weißenstadt, gibt es wieder viele hupende Autofahrer, Radfahrer scheinen die nicht gewöhnt zu sein. Endlich ist der Abzweig zum Schneeberg in Sicht. Da hat uns Eva nicht zu viel versprochen, Asphalt direkt vom Berg gekippt, fast ohne Kurve, direkt auf den Gipfel, laut Navi bis zu 22 Prozent. Falk kommt mir schon wieder entgegen und wir verabreden uns, demnächst gemeinsam was zum Abendessen zu suchen. Oben muss ich mich ein paar interessierten Rennradfahrern erklären, genieße im Zeitraffer die Aussicht und mache das zweite Kontrollfoto.

 Gemeinsam mit Falk fahren ich, bis wir ein Hotel mit Restaurantgarten entdecken. Gasthof Kornbachtal, verdiente Pause mit sehr leckerem Essen. Inzwischen ist es abends halb neun, 462km sind geschafft. Wir wollen, unabhängig voneinander, am Abend noch die 500km-Marke knacken, ab dann ist nämlich Rückweg! Dann klappt das mit der Psyche hoffentlich auch besser.

Jetzt geht es, oft auf gut zu fahrenden Radwegen tendenziell bergab. Mit vollem Bauch fährt es sich ganz gut. Im Ort „Hölle“ geht es links weg direkt durch das Höllental. Leider ist es schon dunkel, aber man ahnt, dass es hier sehr schön ist. Der Weg besteht aus losem Split, etwas rutschig. Die 500km sind voll, also darf ich jetzt einen Schlafplatz suchen.

Bei km 506 steht der historische Bahnhof Lichtenberg. Ein paar alte Waggons, leider verschlossen, aber an der Rückseite des Bahnhofsgebäudes gibt es ein Vordach mit einer geräumigen Holzbank, die nehme ich. Das Navi hat zwar immer noch ca. 50 Prozent, aber ich stecke es trotzdem mal an die Powerbank. Als es nach zweieinhalb Stunden weitergeht, hat das Navi wieder neunzig Prozent und die Powerbank ist leer. Macht aber nichts, die soll tagsüber dann mit Nabendynamo und USB-Werk wieder aufgeladen werden.

20km weiter muss ich auf einer Bank doch nochmal kurz die Augen zu machen. Danach geht es deutlich besser weiter, und langsam wird es auch wieder hell. Schöne kleine Straßen und Radwege im Naturpark Thüringer Schiefergebirge. Viele Abfahrten kann man gut fahren, ohne viel zu bremsen. In Pößneck gibt es halb sieben Frühstück bei TOTAL. Irgendwann kommt auch Falk. Er will aber noch in Ruhe weiter pausieren. Sein Magen beschwert sich. Ich stelle fest, dass mein USB-Werk ein gebrochenes Kabel hat, ich meine Powerbank somit nicht laden kann. Mist, mein Telefon hat nicht mehr allzu viel Akku.

Hinter Pößneck fährt man im Tal der Orla. Ich finde es so schön, dass ich das erste Mal auf der Tour extra anhalte, um zu fotografieren. Endlich stellt sich mal sowas wie Euphorie und Freude am Radfahren ein, da habe ich die vergangenen Kilometer irgendwie zu wenig von gemerkt.

Links und rechts Berge, davor Sonnenblumenfelder, dahinter Sonne und Wolken, und ich mittendrin auf autofreier Straße.

Bis Weimar bleibt es so schön, in Weimar gibt es ein zweites Frühstück beim Nahkauf. Leider musste ich dabei Zeuge von Parkplatzgesprächen zu den Themen Corona, Krieg, Klima und „den Politikern“ sein, die alle Vorurteile über Leute aus den südostdeutschen Bundesländern bestätigten. Nein, stimmt, ich kenne auch keinen einzigen Menschen, der je Corona hatte 🙄. Dafür gab es jetzt auch wieder viel Verkehr. Nach dem Ettersberg ging es dann aber wieder. Vorerst bleibt es auch flach, und im Tal der Unstrut fährt es sich sehr gut.

Ich erkenne auch Einiges wieder von „Thüringen Erfahren“ im letzten Jahr. Bad Frankenhausen in Sicht, und wir müssen heute zum Glück nicht über den Kyffhäuser. In Bad Frankenhausen ist es schon wieder sehr heiß, daher will ich in einem Eiskaffee auf Falk warten. Der kleine Eiskaffee im Plastikbecher kostet 4,60€, ein Handyladegerät haben sie hier nicht, und Falk ist noch zu weit weg. Also Weiterfahren. Mist, vergessen, Wasser aufzufüllen. Zum Glück meldet sich Falk und bietet mir seine Powerbank an. Also verabreden wir uns vier Orte weiter in Berga. Ich hatte auf einen gemütlichen Biergarten mit Schatten zum Warten gehofft, geworden ist es aber der sonnige Parkplatz vor einem bescheidenen NP-Markt. Zum Glück kam Falk bald, und meine Stromsorgen waren erstmal gelöst. Ein Powerbank-Gehäuse, welches man mit 4 normalen Batterien bestücken kann. Keine schlechte Idee im Notfall.

Relativ entspannt fahren wir gemeinsam weiter Richtung Harz. Der sieht immer gespenstischer aus. Auf vielen großen Waldflächen wird das Totholz abgesägt und auf riesigen Stapeln gelagert. Elend, Schierke, Brocken. Die Auffahrt zum Brocken selbst ging relativ zügig, zumal ich auch mal als erster am Kontrollpunkt sein wollte. Aber auch Falk meinte: „lief gut“. Wahrscheinlich muss man sich doch erst 700km warmfahren vorher.

Auf dem Brocken war es kalt und ungemütlich wie immer. Trotzdem ich alle Sachen angezogen habe, die ich mithatte, wurde mir selbst bei den Gegenanstiegen nicht mehr richtig warm. Hunger hatte ich auch schon eine ganze Weile. Nach 22 Uhr blieb da nur die Hoffnung auf eine 24h-Tankstelle in Quedlinburg. Noch 55km, aber wenigstens größtenteils bergab. Aber wärmer wurde mir auch in tieferen Regionen nicht, langsam machte ich mir Gedanken um meinen Schlafplatz. Einen richtigen Schlafsack hatte ich nicht mitgenommen. Mir war aber schon beim Fahren kalt. Auf Sparkasse hatte ich auch keine Lust, zumal es dafür noch zu früh war.

Oh Wunder, die Tanke in Quedlinburg hatte warme Bockwurst und Kaffee am Nachtschalter. Das schien nötig zu sein, war auch gleich nicht mehr ganz so kalt. Aber gegen halb eins waren hier noch einige Menschen unterwegs, also brauchte ich in der Stadt nicht weiter nach einem Schlafplatz suchen und musste, wohl oder übel, weiterfahren.

Fündig wurde ich endlich ein paar Kilometer hinter Quedlinburg an einer alten Turmruine (Gaterslebener Warte). Etwas windgeschützt, nicht kalt, aber ohne Dach. Nach einer halben Stunde werde ich zeitgleich von Regentropfen und Falks Nachricht geweckt. Falk flüchtet aus seinem ebenfalls unbedachten Nachtlager und fährt irgendwann vorbei, ohne dass ich das mitbekomme. Ich räume hektisch meine Iso-Matte, Schuhe, halbnasse Klamotten in den Rettungsdeckensack. Ich versuche, mir ein Atemloch offenzuhalten, ohne dass Wasser reinläuft. Auf dem nassen Handy versuche ich, aus dem Regenradar und Falks Nachrichten schlau zu werden, was mit nassem Telefon und verschlafenem Blick nicht so recht gelingt. Sofort bildet sich im Sack Kondenswasser, irgendwo im Fußbereich hat der Sack ein Loch und ich ditsche ab und zu in eine kalte Pfütze. Aber zumindest ist es wärmer als draußen. So liege ich ewig im Halbschlaf in der Feuchtigkeit und hoffe, dass der Regen bald nachlässt. Ich brauchte einige Zeit bis zur Erkenntnis, dass sich erstmal nichts ändert, man sich mal kurz richtig zusammenreißen muss, in die Kälte krabbeln, das ganze nasse Zeug verstauen, dann auf unbestimmte Zeit im kalten Regen weiterfahren muss, und es keine Alternative gibt. Erst kurz nach fünf habe ich es begriffen und mich wieder auf den Weg gemacht.

Zwei Dörfer weiter treffe ich Falk in einem Bushäuschen, definitiv die bessere Wahl. Gemeinsam im Regen fahren, ist besser als allein. In Atzendorf, km 861, hat schon ein Bäcker geöffnet, endlich Frühstück! Zwischen all den Leuten, die in Shorts und Badelatschen, offensichtlich mit Auto, ihre Frühstücksbrötchen kaufen, fluten wir, völlig durchnässt, den Fußboden. Und das WC. Und die Polsterstühle. Aber Kaffee und Kuchen schmecken. Falks Regenradar stimmt auf die Minute, und der Regen hört auf. Die letzten 140km fahren sich jetzt sehr gut durch die Elbebene. Es trocknet langsam und hin und wieder kommt sogar die Sonne raus. Ein Höhepunkt ist auf jeden Fall die Elbbrücke bei Barby. Eine lange, ehemalige Eisenbahnbrücke, nur für Liegeradler könnten die Poller schwierig werden.

Ein Stück geht es auf dem Elberadweg entlang durch sattes Grün und Nacktschnecken, was für ein Kontrast zum ersten Tag! In Zerbst gibt es schon wieder ein reichhaltiges Frühstück in einem riesigen Einkaufscenter. Wir haben Heißhunger auf Herzhaftes. Falk ist schon wieder eher fertig und will los… In Bad Belzig hat die Tanke hat keinen Strom und lässt uns nicht rein.

In Brück machen wir, ca. 50km vor dem Ziel, unsere letzte Pause. Ich kaufe Radler und Eis, Falk probiert die Livetracking-Funktion an seinem Navi aus, so dass alle Interessierten live im Bilde sind, wann wir auf die Zielgerade einbiegen. Am Schwielow- und Templiner See entlang geht es noch durch Potsdam, alles schon wie „fast zu Hause“. Und was für eine schöne Überraschung: Auf der Krone werden wir schon von Eva erwartet und die letzten Kilometer durch Berlin begleitet. Auf der Bismarckstraße trifft auch noch Martin auf seinem Lastenrad auf uns. Da macht sich fast Euphorie breit, mit so einer tollen Eskorte!

Auf der Straße des 17. Juni ist bei unserer Ankunft CSD mit Absperrungen, feiernden Menschen und Musik. Eva erspart uns den Parcours zum Brandenburger Tor, und wir dürfen vor der Siegessäule unsere finalen Fotos machen. Sie erklärt den skeptischen Polizisten, die uns schon wegscheuchen wollen, dass wir gerade krass 1000km gefahren sind, und während Martin dem Polizisten noch erklärt, wo der Brocken ist, können wir in Ruhe zu Ende fotografieren.

Im Schatten des Tiergartens gibt es noch Radler und Bier und die ersten Eindrücke werden ausgetauscht. Was für eine Tour! Hitze, Kälte, Regen, Flachland, Berge und meistens Gegenwind 😉. Nicht im selbstgesetzten Zeitlimit von 75h geschafft. Kein Schönwetter-Brevet, von der Schwierigkeit her, vergleichbar evtl., mit dem Sachsen-Tausender.

Ein großes Lob an Eva für die Strecke: wirklich viel guter Radweg durch abwechslungsreiche Landschaft. Der hartnäckigste Ohrwurm auf dieser Tour, gar nicht so unpassend und peinlich wie so oft:  „Im Rhythmus bleiben!“.